Zum Absegeln in Tegel am 14.10.2018 hielt Antje Förster, 1. Vorsitzende des Heiligenseer Segel-Club e.V.,
eine bemerkenswerte Ansprache zur Traditionspflege:

Liebe Segler, liebe Seglerinnen, liebe Gäste,

es ist mir eine Freude nun auch hier einmal in dieser Position zu stehen, als Mitausrichter unseres kleinen Vereins, der beileibe nicht allen bekannt ist, da wir wirklich am äußersten Zipfel zum Berliner Umland liegen. Viele kommen bei uns vorbei und ankern über Nacht, meist auf dem Weg zur Ostsee. Und nur Wenigen ist bewusst, was sich dort in dem kleinen Haus hinter dem Schilfgürtel verbirgt. Es ist der Heiligenseer Segel-Club, im nächsten Jahr 90 Jahre alt und obwohl so alt, heute das allererste Mal Mitausrichter der Absegelfeier 2018. Aber nicht weil wir uns 90 Jahre davor gedrückt haben, sondern weil uns einfach der Platz für so ein großartiges Fest fehlt. Platz, den wir drei Vereine HSC-FSJ und VSS nur zusammen finden und nur zusammen die Manpower haben, das alles zu stemmen. Aus diesem Grund haben wir uns bisher immer in anderen Bereichen im Bezirk engagiert und immer, wenn wir dann Besuch von Personen anderer Vereine bekommen, heißt es immer: „Ich wusste gar nicht, dass es hier so schön ist“.

Vor vielen Jahren da lag hier noch eine Tonnenlinie längs auf dem See, das Segeln war nur mit ganz vielen Problemen verbunden, heute, viele Jahre nach dem Mauerfall, ist aus der Sackgasse das Tor des Nordens geworden.

Auch wir haben mit dem Umschwung zu kämpfen. Mitglieder sterben, Junge kommen nach. Prozentual gesehen sind wir dennoch gut aufgestellt im Gegensatz zu den großen Vereinen. Wir können nur leider nicht mithalten bei der Werbung nach neuen Mitgliedern mit einer guten Infrastruktur, perfektem Bootsmaterial und genügend "cooler Jugend". Wir sind noch recht traditionsbewusst, andere Vereine sehr modern. Aber es ist eine Weitergabe von Werten und Traditionen uncool? Der Trend geht wieder zu kleineren Booten und Jollen. Damit wird man u.a. dem gerecht, den Segelsport manchmal nur noch als beiläufiges Hobby zu betrachten um mal ab und zu segeln zu gehen. Segeln zu lernen ist gerade wieder in. Ein Boot am Steg zu haben ganz toll, aber leider bleibt gerade dabei die Weitergabe von Werten und Traditionen auf der Strecke.

Unser kleiner Verein war über Jahrzehnte einer der erfolgreichsten Segelvereine Berlins, nur davon weiß heute kaum mehr jemand. Es waren noch die Zeiten in denen man Boote selber baute, jeder Handschlag und jede Investition gut überlegt war, wo man nicht alles einfach bestellen konnte, wo sich ein Wochenende im Verein und auf dem Wasser abspielte und nicht noch auf drei Parallelveranstaltungen gleichzeitig. Der Umbruch von einem traditionsreichen Verein in die heutige Zeit ist machbar, aber leider bleiben gerade die Traditionen auf der Strecke. Fasst euch alle mal an die eigene Nase und überlegt mal wer in eurem Verein heute noch z.B. spleißen kann oder geschweige denn noch weiß, was das ist. Warum wir zu Regatten die Nationale nicht setzen, aber diese sonst fahren oder warum es einfach wichtig ist, sich mit der Chronik und den Erlebnissen des Vereins auseinander zu setzen, weil wir langsam aber sicher alle Zeitzeugen der Zeit verlieren. Es gibt nur noch ganz wenige, die darüber berichten können. Mir wurde noch sehr viel erzählt, seit Kindes Beinen habe ich die alten Geschichten aus dem HSC aufgesogen, habe versucht, diese seit meiner 20 Jahren aktiven Jugendarbeit an die Kinder weiter zu geben. Ich bin dankbar dafür, dass in alten Fotoalben und Bildern die Geschichte lebendig wird, alte Mitglieder Vorträge hielten, ein Mitglied seine Erinnerungen jetzt sogar in einem Buch verewigt hat.

Im Frühjahr kam uns ein altes Mitglied, das nur seine Kindheit bei uns verbracht hat, vorbei. Hätte ich nicht die alten Geschichten so aufgesogen, hätte ich ihn gar nicht zuordnen können, geschweige wären mir noch mehr der alten Geschichten verborgen geblieben. Es war der Sohn eines Kameraden der ersten Stunde des HSC von 1929. Im Sommer bekam ich ein Päckchen, darin die originale Schiffermütze von 1929 die damals jedes Mitglied besaß, an der schon der Zahn der Zeit genagt hatte, die aber die Vergangenheit lebendig macht. Das ist Geschichte, die uns alle tief bewegt hat.

Kommt ins Gespräch, tauscht euch aus, die "Alten" wissen noch so viel und es ist allerhöchste Zeit, diese Erfahrungen noch zu greifen. Ich kann es allen nur raten.

Nur ein Boot zu haben, nur Fahrten segeln oder nur Regatta segeln ist toll, aber vergesst nicht die Traditionen, die alle Vereine erlebt haben und noch erlebbar machen können.

Zum Absegeln am 14.10.2018, 

Antje Förster,
1. Vorsitzende des Heiligenseer Segel-Club e.V.

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